15. Mai 2024

Giovanna Marini

19.1.1937–8.5.2024

Giovanna Marini stammte aus einer Familie klassischer Musiker. Sie studierte klassische Gitarre am Konservatorium und vertiefte ihre Studien in Spanien bei dem großen Gitarrenmeister Andrés Segovia. 

Anfang der sechziger Jahre wurde sie als Gitarristin für ein römisches Fest engagiert, bei dem auch Umberto Eco und Alberto Moravia anwesend waren. Sie spielte Bach, als plötzlich Pier Paolo Pasolini neben ihr saß, und begann ihr unbekannte Lieder vorzusingen. Er erklärte ihr, dass diese Art von Musik lange Zeit nur mündlich überliefert worden sei.

Das war der Wendepunkt in ihrem Leben. Giovanna Marini begann, das Land zu bereisen, um auf Dorffesten, bei den Reisarbeiterinnen, bei religiösen Festen und vielen anderen Gelegenheiten das traditionelle italienische Liedgut aufzuspüren und aufzunehmen.

Mit der Gruppe „Nuovo Canzoniere Italiano“ veröffentlichte sie 1965 die Aufnahme „Bella Ciao“ (2000 bei Harmonia Mundi wiederveröffentlicht) mit einer Auswahl dieser Lieder, die für viele Musiker, vor allem aus der Folkszene, zu einer wichtigen Inspirationsquelle wurde. Die Uraufführung dieses Programms in einem Turiner Theater löste allerdings einen Skandal aus, da das vornehme Publikum empört auf diese „Straßenmusik“ reagierte.

Als Lehrerin, Musikerin und Musikethnologin sorgte sie lehrend und interpretierend dafür dass diese Volksmusik gehört und  bewahrt wurde, und entwickelte dafür sogar eine eigene Notation.

Mit der Zeit begann sie auch eigene Stücke, Polyphonien, Kantaten, politisch motivierte Lieder in dieser Tradition zu komponieren, was sie zunächst vor ihrer klassisch gebildeten Familie verheimlichte.

Pasolini blieb über seinen gewaltsamen Tod hinaus ein Fixpunkt in ihrem Leben. Diesem Freund und Mentor widmete sie die wunderbare „Cantata per Pier Paolo Pasolini“ (Nota, 2000), die auf dem traditionellen, ausschließlich von Frauen gesungenen Trauerlied „Lamento funebre“ basiert.

Giovanna Marini hinterlässt ein vielseitiges Werk, in dem es sicher noch viel zu entdecken gibt. Ihre Musik begleitet mich seit vielen Jahren und ich bedauere immer ein wenig, dass ich die italienischen Texte nicht verstehen kann.

Gleichzeitig finde ich es wichtig, die Erinnerung an diese traditionelle Musik wach zu halten und frage mich, wie es damit eigentlich in Deutschland aussieht?