15. März 2025
Kurt Weill: Der Dreh- und Angelpunkt
Am 2. März jährt sich zum 125. Mal der Geburtstag von Kurt Weill. Er zählt zu den prägenden Figuren meiner Hörerbiografie, denn sein Werk hat sehr viele der Musiker, die ich schätze, direkt und indirekt maßgeblich beeinflusst. Als einer der Ersten löste er der die Grenzen zwischen ernster und populärer Musik auf und reflektiert dabei stets die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche seiner Zeit. Diesem Einfluss möchte ich mich in den kommenden Tagen aus verschiedenen Perspektiven nähern.




Zwei Alben, die Kurt Weills Werk in den Kontext von Rock und Independent-Musik übertragen. Sie belegen eindrucksvoll die Qualität von Weills Kompositionen, die sich in unterschiedlichste Genres und Arrangements übertragen lassen, ohne an Ausdruckskraft zu verlieren.
The Young Gods– „Play Kurt Weill“ (1991)
Die Schweizer Industrial-Rock-Band The Young Gods interpretiert Weill mit überraschender Intensität. Ursprünglich als Auftragsarbeit für das Festival Les Arts Scéniques in Mulhouse konzipiert, begeisterte die Live-Performance so sehr, dass die Band sie als Album aufnahm. Ihre kurios aufregende Interpretation verbindet Weills Theatralik mit harschen, industriellen Klängen und verleiht den Stücken eine fast apokalyptische Dimension. Für mich tatsächlich eine der eindrucksvollsten Aufnahme mit Werken von Kurt Weill.

Slut – „Songs aus Die Dreigroschenoper“ (2006)
Auch dieses Album entstand aus einer Theaterproduktion – in diesem Fall am Theater Ingolstadt – und überträgt Weills Musik in eine moderne, alternative Rock-Ästhetik. Die deutsche Indie-Rock-Band „Slut“ setzt auf eine dichte, melancholische Atmosphäre mit energischen Gitarren und treibenden Rhythmen, wodurch der Stoff eine zeitlose Dringlichkeit erhält. Eine zweite Lieblinsversion …






Lotte Lenya, die Ehefrau und Muse von Kurt Weill, war die zentrale Interpretin seines Werkes. Viele seiner Kompositionen für Frauenstimme – von der Seeräuber-Jenny bis zur Anna aus den “Sieben Todsünden“ – schrieb er ihr buchstäblich auf den Leib bzw. in die Kehle. Sie verzichtete auf klassischen Wohlklang und setzte stattdessen auf rohe Emotionalität.
Mit diesem natürlichen, aber expressiven Gesangsstil verlieh sie jeder dieser Figuren eine unverwechselbare Authentizität. Ihr Einfluss auf nachfolgende Generationen von Sängerinnen ist groß, denn Weills Lieder – zumeist mit Texten von Bertolt Brecht – werden bis heute häufiger von Frauen als von Männern interpretiert.

Drei Interpretinnen, deren Weill-Darbietungen ich persönlich sehr stark finde – und die auch darüber hinaus interessante Sängerinnen sind – möchte ich hier vorstellen:


Die kürzlich verstorbene Marianne Faithfull besaß eine markant-raue, von einem bewegten Leben gezeichnete Stimme, die ihren Interpretationen eine intensiv-düstere Note verlieh. Ihre Ausdruckskraft passte hervorragend zur ironischen und gesellschaftskritischen Atmosphäre der Brecht-Weill-Songs. Stücke wie “Surabaya Johnny“ oder “Pirate Jenny“ bekamen durch ihre Stimme eine besondere Tiefe.
Hörtipp:
„20th Century Blues“ (1996, Reverso) und
“Weill: The Seven Deadly Sins” (2004, BGM)
Dagmar Krause geht theatralischer und schärfer konturiert an das Weill-Repertoire heran. Ihre musikalischen Wurzeln liegen in der experimentellen, progressiven Canterbury-Szene mit Bands wie “Slapp Happy“ und “Henry Cow“, in denen sie Mitglied war.

Diesen herausfordernden, oft radikalen Ansatz bringt sie auch in ihre Brecht-Weill-Interpretationen ein – sowohl in deutschen als auch in englischen Fassungen. Ihre Versionen sind aufregend, engagiert und oft von ganz verschiedenen Instrumenten begleitet.
Hörtipp:
„Supply & Demand -
Songs By Brecht/Weill & Eisler“, (1986, Hannibal)

Eine weitere herausragende Weill-Interpretin ist Salomé Kammer. Sie verfügt über eine enorme stimmliche Flexibilität. Durch ihre klassische Gesangsausbildung besitzt sie eine außergewöhnliche Bandbreite, die von opernhafter Klarheit bis hin zu kabarettistischer Schärfe reicht. Gepaart mit ihrer theatralischen Präsenz macht dies ihre Darbietungen zu einem sehr unterhaltsamen und faszinierenden Erlebnis.
Hörtipp:
„I’m a Stranger Here Myself“ (2013, Capriccio)


„Du meinst, ich ließe das Hässliche an mir abgleiten. Nein: Ich schlürfe es bis zur Neige, denn es gehört zum Ausdruck der Zeit, in die ich geboren bin, und es weist mir den Weg zur Schönheit, die heute genauso blüht wie je. Aber ich packe zu, wo mir eine Empfindung begegnet – sei sie schön oder hässlich – und ich leere den Kelch jedes Gefühls bis zum Rand...“
Ein Zitat aus einem Brief Kurt Weills an Lotte Lenya (Quelle), das auch den Kern seiner vor allem in Europa entstandenen Kompositionen trifft. Weg vom Pathos gekünstelter Opern, hin zu ungeschönten Realitäten – oft mit sozialkritischem oder politischem Unterton, aber stets mit dem künstlerischen Anspruch, das Publikum zu bewegen. Mit seiner Mischung aus klassischer Hochkultur, Jazz, Kabarett und populärer Musik erreicht Weill bis heute ein breites Publikum.
So wie Weill von seinen Vorreitern – etwa Gustav Mahler und Igor Strawinsky – beeinflusst wurde, prägte er selbst folgende Generationen von Musikern aus unterschiedlichsten Genres. Parallelen zu seinem Schaffen finden sich beispielsweise bei Lou Reed („Berlin“), Tom Waits („The Black Rider“ in Zusammenarbeit mit Regisseur Robert Wilson), den Dresden Dolls oder David Bowie. Zahlreiche Musiker haben im Laufe ihrer Karriere Weill/Brecht-Songs in ihr Repertoire aufgenommen. Besonders eindrucksvolle Interpretationen finden sich auf dem 1985 erschienenen Album „Lost in the Stars“, das seit Langem einen prominenten Platz in meiner Musiksammlung einnimmt. Einige Stücke daraus – sowie ein paar weitere Songs – habe ich in der folgenden Playlist zusammengestellt:
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