6. November 2024
Olhos de Gato

Da ist eine Melodie, eine kleine, zarte Melodie. Leichtfüßig wie eine Katze schleicht sie um die Ecke, hält inne, schaut sich um, wittert Möglichkeiten und springt dann beherzt ins Unerwartete. Komponiert wurde sie Ende der 1960er Jahre von der Jazzkomponistin Carla Bley, die eines Tages beschloss, keine traurigen Stücke mehr zu schreiben. Doch dieses Werk, das ursprünglich den Titel „Sad Song“ trug, gehört noch zu ihren melancholischen Stücken. Bley wollte es dem Bossa-Nova-Sänger João Gilberto widmen und bat den Dichter Jorge Mautner um einen Text. Am Ende blieb nur der Titel seines Textes: „Olhos de Gato“ – auf Portugiesisch „Katzenaugen“. (Quelle)

Die Stimmung des Stückes ist melancholisch und geheimnisvoll, zugleich aber beruhigend – wie ein Blick in die Augen einer Katze. Die Melodie ist relativ kurz, lyrisch und von argentinischem Flair durchzogen.

Subtile harmonische Wechsel und eine langsame, von Pausen geprägte Melodieführung verleihen der Komposition eine geniale Schlichtheit. Diese Offenheit lädt zur Improvisation und eigenen Interpretation ein – eine ideale Grundlage für Jazzimprovisationen, die dem Werk immer wieder neue Nuancen verleihen.

Der italienische Trompeter Enrico Rava war Anfang der 1970er Jahre der erste Musiker, der „Olhos de Gato“ aufnahm. Damals lebte und arbeitete er in New York und war im Umfeld von Carla Bley aktiv. Seine Version betont zwar die lyrische Tiefe des Stücks, verleiht ihm aber einen pulsierenden Rhythmus.

Eine besonders eindringliche Interpretation stammt von Paul Bley, Carla Bleys erstem Ehemann, der zusammen mit dem dänischen Bassisten Niels-Henning Ørsted Pedersen eine hypnotische Version des Stücks schuf. Die Basslinien geben der Komposition ein ruhiges, aber kraftvolles Fundament, das es Bley ermöglicht, die Melodie subtil und zerbrechlich darüber zu gestalten. Beide Musiker lassen dem Stück viel Raum zum Atmen und erzeugen so eine nachdenkliche, schwebende Atmosphäre.

Eine weitere schöne Interpretation bietet Paul Bley mit dem Vibraphonisten Gary Burton. Zunächst erklingt die Melodie ausführlich von jedem Solisten für sich, bis beide im dritten Teil zu einem gemeinsamen musikalischen Höhenflug ansetzen - eine fast zehnminütige Klangreise.

Von Paul Bley stammt übrigens auch eine der spartanischsten Versionen, in der er die Melodie am Klavier fast aufs Skelett reduziert.

Hinter diesen Versionen stehen unter anderem diese beiden bemerkenswerten Alben, auf die es sich lohnt ebenfalls ein Ohr zu werfen:
Enrico Rava
Il Giro Del Giorno In 80 Mondi
1976, Black Saint
Paul Bley / NHØP
1973, Steeple Case