12. Juli 2023
Peter Brötzmann 1941-2023
Vom 9. bis zum 11. Mai 1977 fuhren Peter Brötzmann und Han Bennink (*1942) jeden Morgen tief hinein in den Schwarzwald. In einem schwarzen Lieferwagen transportierten sie verschiedene Klarinetten und Saxofone, Vogelpfeifen, eine Bratsche, ein Banjo, Becken und ein tragbares Aufnahmegerät. Dies alles bauten sie an immer wieder anderen Stellen auf und spielten (!). Aus dieser Aktion entstand das Album „Schwarzwaldfahrt“ (FMP):
Die Aufnahme beginnt mit einem Dialog der mitgebrachten Blasinstrumente der entfernt an Prokovievs „Peter und der Wolf“ erinnert. Doch im Laufe der Zeit nutzen sie mehr und mehr die von der Natur gebotenen Klangmöglichkeiten. Während Brötzmanns Klarinettentöne noch wie Insekten umherschwirren, geht Han Bennink, der ohne sein Schlagzeug anreiste, dazu über Baumstämme, Steine, den Lieferwagen zu betrommeln. Daraus entwickelt sich ein Rhythmus der dem ritueller Stammestänze alter Naturvölker nahe kommt. Immer wieder pfeift der kalte Wind durch die Mikrofone.
Vogelpfeifen trällern Duette mit ihren Vorbildern, einem vorbeifliegenden Düsenflugzeug wird wild hinterher gepfiffen. Irgendwann gelangen die beiden Musiker an einen See und während die Klarinette noch versucht, die Melodie des Wassers zu imitieren, taucht bereits ein zweites Blasinstrument in den Fluss ein und kurz darauf blubbern beide Instrumente einen fröhlichen Reigen unter der Wasseroberfläche.
Ab und zu schleichen sich kleine Bluesmelodien ein, Jazz-Splitter fliegen durch den Raum – die Saiteninstrumente kommen zum Einsatz und das Spiel mit der Natur wird immer überschwänglicher, während gleichzeitig die Batterie des Aufnahmegeräts langsam leiernd zur Neige geht.
Im Hintergrund erinnert noch das Geräusch einer Motorsäge an Zivilisation … dann wird es still. Steine werden wie hüpfende Noten in das rauschende Wasser geworfen und die Aufnahme endet mit wildem Plantschen. So findet die Musik ganz allmählich zu ihren Ursprüngen, den reinen Geräuschen der Natur, zurück.
Dieses Album (von dem es noch aus dem Jahr 2005 eine Version mit weiteren bisher unveröffentlichten Titeln gibt) enthält viel von dem, was Peter Brötzmanns (und auch Han Benninks) Schaffen ausmachte: völlige Freiheit in der Improvisation, das oft spielerische Experimentieren mit Materialien und Klängen, die Liebe zur Natur, das Suchen nach archaischen Formen. Daher ist es ein guter Einstieg, um auch seine anderen Werke besser zu verstehen. Seit 2022 ist der Aufnahme ein Fotobuch beigefügt, das mit Bildern einen Eindruck dieser Entdeckungsreise gibt (Wolke Verlag).
So wie Peter Brötzmann leidenschaftlich Musiker war, arbeitete er auch als Maler und Grafiker und beherrschte es aufs schönste diese verschiedenen Genres miteinander zu verbinden. Dieses Album und zahlreiche andere Tonaufnahmen und Werke seines bildnerischen Schaffens werden nun dabei helfen, die Lücke, die sein Tod verursacht hat, immer wieder zu füllen.