21. März 2024

Respekt!

Um besser ein Ohr auf Musik werfen zu können, ist es manchmal gut auch ein paar Hintergründe zu kennen und zu verstehen. Daher empfehle ich hier immer wieder mal auch Bücher, die dahingehend den Horizont erweitern können:

― Die Entwicklung des Jazz ist Teil der kulturellen Selbstbehauptung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA. Im vergangenen Herbst ist das Buch „The Sound of Rebellion“ (Reclam, 2023) des Musikjournalisten Peter Kemper (*1950) erschienen, das diese Emanzipation am Beispiel einiger prägender Jazzmusiker beschreibt. Das Ganze ist sehr spannend geschrieben und macht vor allem mit Vorwissen und Leidenschaft für Jazz viel Freude beim Lesen. Leider ist der Titel etwas unglücklich gewählt, da er mit dem Untertitel „Zur politischen Ästhetik des Jazz“ suggeriert, dass es um Jazz im Allgemeinen geht. Dabei wird der nicht ganz unbedeutende europäische Jazz weitgehend ausgeklammert, obwohl er auch hier in verschiedenen Ländern wie zum Beispiel Polen, Italien oder der DDR durchaus politische Tendenzen aufwies.

Ein Fazit des Buches, dass Jazzmusik politische Ereignisse zwar begleiten, aber nicht wirklich beeinflussen kann, ist dennoch allgemeingültig.

Das eigentlich Politische im Jazz ist vielmehr der Musiker selbst in seinem gesellschaftlichen Kontext, in dem er nach Veränderung strebt oder Kritik übt. Was die Musik betrifft, ist das widerständige Element, dass sie immer wieder traditionelle Formen in Frage stellt und sich oft in neuen Strömungen weiterentwickelt, sowohl improvisatorisch als auch kompositorisch.

― Auch ohne Vorkenntnisse kann man das vor einigen Jahren erschienene Buch „Respekt!: Die Geschichte der Fire Music“ (Verbrecher, 2011) mit großem Vergnügen lesen. Es enthält 44 Interviews mit überwiegend afroamerikanischen Musikern, die der Publizist Christian Broecking (1957-2021) zwischen 1994 und 2007 geführt hat und in denen diese von ihren persönlichen Erfahrungen erzählen. Entstanden ist eine faszinierende Sammlung von Geschichten und Erinnerungen, die einen tiefen Einblick in die Welt der afroamerikanischen Jazzcommunity gewährt und dabei überraschend viele Widersprüche deutlich werden lässt. Interessant ist, dass Broecking, der hier vor allem zuhört, diese sehr unterschiedlichen Stimmen fast unkommentiert nebeneinander stehen lässt und so dem Leser die Möglichkeit gibt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

― Eine weitere schöne Ergänzung zum Thema afroamerikanischer Emanzipation sind die kürzlich entdeckten Kurzgeschichten von Diane Oliver (1943-1966) „Nachbarn“ (aufbau, 2024). Es sind fiktive Geschichten über unterschiedliche Schicksale in den 1960er Jahren, als sich die amerikanische Rassentrennung allmählich auflöste und nicht nur die ersehnte Erlösung brachte, sondern oft auch existenzielle Fragen, Ängste und Konflikte auslöste, von denen die Autorin hier mir grandioser stilistischer Vielfalt erzählt.