28. Mai 2024
Sonnenaufgang
Es gibt im Moment drei Alben (» NEUES), die mich seit einiger Zeit sehr beschäftigen:
1 ― Das ist zum einen „Silent, Listening“, das erste Soloalbum von Fred Hersch für das Label ECM, zu dem mir leider ein wenig die Worte fehlen, so beeindruckend ist diese Musik. Ein Album, das von Anfang bis Ende sehr sorgfältig durchdacht ist - etwas, das im Zeitalter von Playlisten leider immer mehr in den Hintergrund gerät. Der Aufforderung, es sich in Ruhe anzuhören, sollte man in der Tat nachkommen, denn nur so kann man den atemberaubenden „Pointilismus“ dieser Mischung aus Jazzstandards und Eigenkompositionen richtig genießen. Die Grundstimmung ist „nächtlich“ und mündet in das vorletzte Stück „Softly, as in a Morning Sunrise“ *, das auch auf dem nächsten Album zu finden ist.
2 ― Dieses Album „Beyond this Place“ ist von Herschs Pianistenkollegen Kenny Barron, der eine generationenübergreifende Truppe von fünf exzellenten Musikern um sich versammelt hat, von denen jeder in jedem Moment dieser Aufnahme unglaublich präsent ist und sowohl eigene (Lebens-)Erfahrungen, als auch neue Vorschläge in die Musik einfließen lässt - vom 80-jährigen Kenny Barron bis zum 26-jährigen Saxofonisten Immanuel Wilkins. Die meisten Stücke sind Coverversionen von Barron-Kompositionen wie das pulsierende „Innocence“, aber auch Jazzklassiker wie der unglaublich sanft gespielte Opener „The Nearness of You“, ein swingender Blues des Schlagzeugers Jonathan Blake und eine abschließende Duo-Hommage an Thelonious Monk sind mit dabei.
3 ― Album Nummer drei ist „Aldebaran“ der dänischen Bandleaderin und Pianistin Kathrine Windfeld. Schon das erste Stück „First Speech“ macht vollends süchtig, und das, was dann folgt, ist immer noch ausserordentlich magisch. Satte Bläsersätze, irrlichternde Klaviermelodien, formvollendetes musikalisches Geschichtenerzählen, das auch nach mehrmaligem Hören nicht langweilig wird. Einer der beiden Saxophonisten des Sextetts, Hannes Bennich, hat übrigens vor zwei Jahren das hervorragende Album „When Losing a Dream to Reality“ veröffentlicht. Darauf sollte man, ebenso wie auf Windfelds Debütalbum „Orca“, unbedingt ein Ohr werfen.
*„Softly, as in a Morning Sunrise“ ist ein Lied aus der Operette „The New Moon“ von Sigmund Romberg und Oscar Hammerstein II aus dem Jahr 1928, das ursprünglich als Tango komponiert wurde. Es handelt vom Aufblühen und Vergehen einer Liebe die mit dem Erscheinen und Verschwinden des Tageslicht verglichen wird.
Auch die Version von Fred Hersch, die er im Duo mit dem Gitarristen Bill Frisell aufgenommen hat, sollte man sich nicht entgehen lassen. Kenny Barron hat den Song ebenfalls mehrfach aufgenommen, unter anderem im Duo mit Stan Getz, an den ich manchmal denken muss, wenn ich Immanuel Wilkins spielen höre. Von Kathrine Windfeld gibt es keine Version des Liedes, aber ihre Musik ist sowieso oft so sanft wie ein Sonnenaufgang am Morgen.