30. April 2025

Die diskrete Welt des Clavichords

Das Clavichord gehört zu den ältesten bekannten Tasteninstrumenten. Seit dem 14. Jahrhundert in Europa verbreitet, verfügte es zunächst über lediglich drei Oktaven. In seiner Blütezeit im 18. Jahrhundert wurde der Tonumfang auf fünf und mehr Oktaven erweitert. Doch seine größte Besonderheit blieb: der feine, fast zerbrechliche Klang, der sich direkt aus der Berührung der Finger mit den Tasten speist. Die Saiten, die im rechten Winkel zu den Tasten verlaufen, werden durch kleine Metallplättchen – sogenannte Tangenten – in Schwingung versetzt. Durch unterschiedlich starken Anschlag der Tasten können Klang und Lautstärke subtil variiert werden – was nicht nur feinste Abstufungen, sondern sogar leichte, rhythmische Tonhöhenschwankungen (Vibrato) ermöglicht, ähnlich wie bei anderen Saiteninstrumenten, bei denen die Finger direkten Einfluss auf die schwingende Saite nehmen.

Diese besondere Klangwelt durfte ich im vergangenen Jahr bei einem kleinen Festival in Frankreich erleben: Der Musiker Antoine Berland saß in einem kleinen Scheunenatelier am Boden vor einem niedrig aufgebauten Tischclavichord und bat die Zuhörer, ganz nah an ihn heranzurücken, um keinen der leisen, flüchtigen Töne zu verpassen. Während des Konzerts improvisierte er frei über verschiedene Melodien und stilistische Motive und ließ die Zuhörer in die filigranen Tiefen des Instruments eintauchen.

Eine ähnliche Intimität erreicht Keith Jarrett auf seinem Doppelalbum “Book of Ways“ (1987, ECM), aufgenommen am 4. Juli 1986 – an einem Ruhetag während einer Tournee mit seinem legendären Trio mit Jack DeJohnette und Gary Peacock. Einen Nachmittag lang improvisiert Jarrett ohne jegliche Vorbereitung, auf drei Clavichorden. Zwei davon – Modelle der Manufaktur Neupert mit dem Namen ‚Philipp Emanuel‘ – waren L-förmig angeordnet, sodass er sie gleichzeitig spielen konnte.

Nach einem eröffnenden Stück, das die technischen Möglichkeiten der Instrumente auslotet, entwickelt Jarrett eine klangliche Reise durch verschiedene Epochen, Kulturen und Stile – ein musikalisches Kaleidoskop, inspiriert von seinen vielfältigen Einflüssen. Viele der Improvisationen tragen eine barocke Anmutung, die den prägenden Einfluss der Bach-Familie (Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel) erkennen lässt. Daneben finden sich auch Klangfarben, die unter anderem an japanische Koto, indischen Raga oder arabisch-andalusische Musik erinnern. Besonders faszinierend ist Stück Nummer zehn, in dem Jarrett durch gezieltes Blockieren der Saiten einen technisch anspruchsvollen, fast mechanischen Klang erzeugt. Andere Stücke – wie Nummer vier und fünfzehn – rufen Assoziationen an Minimalisten wie Steve Reich hervor.

Keith Jarrett selbst bezeichnete „Book of Ways“ als eine seiner Aufnahmen, die eigentlich mehr Beachtung verdient hätten. Sein 80. Geburtstag am 8. Mai scheint ein guter Moment zu sein, diesem Wunsch nachzukommen und dieser ungewöhnlichen Aufnahme mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

P.S.: Bereits zehn Jahre zuvor hatte sich auch der Jazzpianist Oscar Peterson – sonst bekannt für sein kraftvolles Klavierspiel – auf das ungewohnte Terrain des Clavichords begeben. Auf dem Album „Porgy and Bess“ (1976, Pablo) interpretierte er gemeinsam mit dem Gitarristen Joe Pass Stücke aus George Gershwins gleichnamiger Oper – eine überraschend stimmige Verbindung dieser beiden, klanglich durchaus ähnlichen Instrumente.