4. Januar 2024
Rückblick 2023
Wenn ich das Jahr hier im Blog und unter Neues rekapituliere, ist es wieder schwierig die Alben gegeneinander aufzuwiegen. Die Post-Corona-Phase ist nach wie vor sehr produktiv und treibt schönste Musikblüten. Viele gute Reminiszenzen – von Brad Mehldau der Beatles-Songs in Ehren hält, Jason Moran der in äußerst geschmeidiger Weise einen der Ur-Väter des Jazz – James Reese Europe – würdigt, Julien Loureau, der sich den Kompositionen des in diesem Jahr verstorbenen Wayne Shorter genähert hat, die Beethoven-Spielewiese von Carlos Bica, die Interpretation der Strawinsky-Frühlingsweihe (Le Sacre du Printemps) von Sylvie Courvoisier … schön, wenn aus Vergangenem immer wieder Neues entsteht! Höhepunkte auch das 43-köpfige Fire! Orchestra und ein posthumes jaimie branch-Album, die beide aber sowieso in dem meisten Best-of-Listen stehen. Auf jeden Fall lohnt es sich die Liste unter Neues nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen.
Explizit möchte ich hier aber vier Produktionen dieses Jahres hervorheben, die auf hohem Niveau neue spannende und lebendige Richtungen aufzeigen und trotzdem fast völlig übersehen wurden:

1 ― Vinnie Sperrazza, „Saturday“
Triomusik, die immer wieder von neuem überrascht und fesselt und dabei sehr fein komponiert und gespielt ist. Kein Wunder, denn am Klavier sitzt Ethan Iverson und am Bass Michael Formanek – beides Garanten für Großartiges. Weniger bekannt ist leider der Komponist und Schlagzeuger Vinnie Sperrazza, den man spätestens ab diesem Album auf dem Schirm behalten sollte.
2 ― Selma Savolainen, „Horror Vacui“
Die finnische Sängerin hat für ihr Sextett äußerst spannende Arrangements geschrieben, die darauf abzielen, die Angst vor der Leere zu verarbeiten und zu füllen. Voller Überraschungsmomente manövriert das Album bemerkenswert durch Stücke wie „Speak Low“ von Kurt Weill und dem Billy Strayhorn-Klassiker „A Flower Is A Lovesome Thing“ und erinnert manchmal ein wenig an die Musik von Portishead.
3 ― Jo Lawry, „Acrobats“
Die Sängerin, die manchen aus ihrer Zusammenarbeit mit Sting bekannt sein könnte, bildet hier in wunderbar rumpeliger Weise mit Linda May Han Oh am Bass und Allison Miller am Schlagzeug einen wunderbaren Dreierreigen. Dabei sind alle drei immer auf Augenhöhe und das klingt zwar ungewöhnlich, aber doch nicht fremd.
4 ― Maya Dunietz, „Thank You Trees“
Höchste Zeit dieses israelische Multitalent nicht mehr zu übersehen. Cool und kühn wird hier im Trio (Piano, Bass, Schlagzeug) und mit zahlreichen Gästen (Avishai Cohen an der Trompete) wild gespielt, zitiert und zutiefst gegroovt, wie zum Beispiel über den Elvis-Song „Love Me Tender“.
Alle vier Alben sind zum genau hinhören, denn obwohl man sie nach oftmaligem Hören genau zu kennen glaubt, entdeckt man immer wieder neue Details und Aspekte.