9. April 2021

Mike Westbrook – Ja, Pathos!

Neben den kleinen, intimen musikalischen Formaten, habe ich ein großes Faible für die voluminösen, pathetischen Produktionen. Ein Meister in zweiterem ist Mike Westbrook, der im März seinen 85. Geburtstag gefeiert hat. Ebenso hat er einen nicht unerheblichen Verdienst an der Entwicklung und Emanzipation des britischen und auch europäischen Jazz ab den 1960er Jahren bis heute. Als Pianist, Komponist, Arrangeur, Orchester- und Bandleader in kleinen bis größten Formationen hat er vieles auf den Weg gebracht. Um eine Vorstellung der enormen Bandbreite seines Schaffens bekommen, habe ich ein paar Alben, die ich interessant finde, herausgesucht:


1 ― Marching Song , Vol. 1 & Vol. 2
(1969): Eine Anti-Kriegs-Symphonie, mit brennender Intensität gespielt vom Who-is-Who britischer Jazzgrößen wie John Surman, der Westbrooks Schüler war, am Saxophon oder dem Amerikaner Barre Phillips am Bass – insgesamt sind sie 25.

2 ― Metropolis (1971): Das kraftvolle 9-teilige Konzeptalbum mit einer 23-köpfigen Big-Band-Besetzung gilt als Meilenstein des britischen Jazz. Eher dissonant beginnend, gipfelt es nach einem wilden Ritt durch alles Mögliche (z.B. groß- und eigenartiger „Gesang“ von Norma Winstone in Part III) in einem fulminanten Trompetensolo in Part IX. (Es gibt ein gleichnamiges Album vom Willem Breuker Kollektief, aber das ist ein anderes und dennoch ähnliches Kapitel …)

3 ― Piano (1978): Die Vertonung britischer Gedichte (Emily Bronte, Edward Lear, Rudyard Kipling) für Klavier, solo – ohne Gesang. Abwechslungreich und schön anzuhören.

4 ― The Westbrook Blake: Bright as Fire (1980): Vertonung von Gedichten William Blakes (1757–1827). Kraftvoll gesungen von Phil Minton und Kate Westbrook (und einem Kinderchor) und begleitet von Westbrooks Brass Band. Grandios in Brecht/Weillscher Tradition. Herausragender Song: „Let the Slave“

5 ― Westbrook-Rossini, Zürich Live (1986): Interpretationen von Werken des italienischen Komponisten Gioacchino Rossini (1792–1868), Nicht komplett durch den musikalischen Fleischwolf gedreht, aber schon ein bisschen (sehr) … Dies alles sehr glänzend und facettenreich. Besonders toll: die wild-rhythmische Version der Ouvertüre des „Barbiers von Sevilla“. Ein eher instrumentales Album, aber ein paar schmissige Opernarien sind auch dabei.


6 ― Off Abbey Road
(1990): Beatles covern können viele (und auch gut), aber so konsequent (alles komplett in Originalreihenfolge) und phantasievoll nur wenige. „I Want You“ mit der Tuba und derbem Gesang (Phil Minton), „Because“: äusserst schmachtend (Kate Westbrook), „Mean Mr. Mustard“: ganz schön schrill, u.v.m. Das Ganze macht richtig Spaß – so wie das Original auch!

7 ― The Serpent Hit (2013): Texte und Gesang um das Thema der Vertreibung aus dem Paradies von Mike Westbrooks (der die Arrangements komponiert hat) langjähriger Mitstreiterin und Ehefrau Kate – un- und außergewöhnlich begleitet von einem Saxophonquartett und einem Schlagzeug.

8 ― Catania – Live in Sicily 1992 (2019): Aufgenommen an drei Tagen im Juli 1992 in Catania, Sizilien, während des Mike-Westbrook-Festivals, das dort von lokalen Jazz-Liebhabern organisiert wurde. Sehr schöner, mitreissend gespielter Überblick über Westbrooks Gesamtwerk. Großes Orchester, viel Pathos und Solomusiker wie Dominique Pifarely an der Geige und der italienische Posaunist Danilo Terenzi.