11. Mai 2021

Eine persönliche Reise zur „Winterreise"

Vor einiger Zeit erschien folgende Konzertankündigung: Ein Kammerorchester, ein Jazztrio und ein singender Schauspieler präsentieren einen Abend mit Liedern aus Franz Schuberts Winterreise und … von Nick Cave. Klang abenteuerlich, also hin! Der Abend war dann richtig spannend. Allerdings gab es weniger Cave, mehr Schubert. Kurze Zeit später erschien die durchaus empfehlenswerte Aufnahme : „Mercy Seat – Winterreise mit dem Ensemble Resonanz und Charly Hübner (2020, resonanzraum records). Und bei mir regete sich die Vermutung, dass dieses Werk aus dem Jahr 1827, gar nicht so schlecht ist …

Etwa zur gleichen Zeit erschien eine weitere Aufnahme der Winterreise: Axel Wolf an der Laute, Hugo Siegmeth am Saxophon und diesmal ein sprechender Schauspieler –  Stefan Hunstein (2020, Oehms Classic). Alle drei Garanten für Anspruchsvolles. Und das ist es dann auch, ein bewegendes Feuerwerk mit starkem Akzent auf den Texten Wilhelm Müllers. 

Aber wie sieht es eigentlich mit der Originalbesetzung – Klavier und Stimme – aus?
Die Recherche geht jetzt erst richtig los: Erster Halt beim Label alpha. Julian Prégardien (Sohn), aber wer ist Hans Zender der da neben Franz Schubert als Komponist steht? Zender ist der Erfinder der „komponierte Interpretation“ – das heißt, er hat, in diesem Fall, Schuberts Werk weitergedacht und für Orchester umgeschrieben. Eine wunderbare Aufnahme mit überraschender Instrumentierung und expressiver Interpretation (2018, alpha)! Aber –  immer noch keine „Originalfassung“ …

Also weiter: Fischer-Diskau / Moore – Bostridge / Andsnes – Prégardien (Vater) / Staier –  Web-Winterreise-Foren … und plötzlich fällt der Name Benjamin Britten. Moment – der ist doch Komponist?

Ja schon – ABER er ist AUCH ein brillianter Klavierbegleiter, unter anderem für seinen Lebensgefährten, den Tenor Peter Pears. Im Internet findet sich ein Video, in dem diese beiden extrem angetan die Winterreise diskutieren (it’s like a psycologic casebook, it has every situation in it of a disstressed person (…) the most alarming a was found in performing this, was there ist actually so little on the page (…) extraordinary moods and athmospheres with so few notes (…). Und mit genau diesem Respekt interpretieren sie dann auch tief ergreifend dieses Werk: das Klavierspiel klar und schnörkellos, der Gesang gefühlvoll und unprätentiös. (decca, Aufnahme von 1963). Kleiner Kritikpunkt bleibt die mangelnde deutsche Artikulation des britischen Sängers, aber alles andere macht das locker wett.

Interessant ist nun auch, was mit so einer einzigen Komposition alles möglich ist. Aber darin liegt die Stärke dieser Winterreise, nämlich dass sie musikalisch und textlich so genial und zeitlos ist, dass sie dann auch sehr viel aushält. Und wer weiß, vielleicht begibt sich ja irgendwann auch Nick Cave „auf Winterreise“? À suivre …

P.S. Goerne / Brendel sind auch gut.